Testbericht KV-WL zum eRezept 

5 Aug 2023 | Nachrichten

Thomas Müller, Vorstand der KV Westfalen-Lippe, zum Rollout des elektronischen Rezepts

„Dann wären wir raus“

Die Einführung des elektronischen Rezepts verläuft reichlich holprig. Nur die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe macht mit beim Rollout. Der änd sprach mit KV-Vorstand Thomas Müller über Probleme in der Testphase, die Bedenken von Datenschützern und ein Ultimatum der Vertreterversammlung.

KVWL-Vorstand Thomas Müller: „Die Ärzteschaft postuliert ganz klar den Wunsch nach einer digitalen Lösung, und es ist nicht zu vermitteln, ein Jahr oder länger das rosa Rezept durch einen weißen Ausdruck zu ersetzen.“

 

Herr Müller, die Testphase zum elektronischen Rezept in Westfalen-Lippe läuft seit mittlerweile sechs Wochen. Wie fällt Ihre Bilanz bis hierhin aus?

Wir haben bislang gemischte bis positive Erfahrungen gemacht mit diesem Rollout, wobei wir eher von einem erweiterten Feldtest sprechen sollten, denn wir stellen fest, dass die Produkte noch nicht den Reifegrad haben, den wir uns gewünscht hätten. Es gibt noch die eine oder andere Kinderkrankheit.

Wo gibt es noch Probleme?

Das Erstellen des eRezepts in der Praxis dauert deutlich länger als das konventionelle Erstellen eines Rezepts.

Bis zu 40 Sekunden, klagten Hausärztinnen und Hausärzte jüngst während der Landesdelegiertenversammlung des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Bei einem normalen Rezept sind es weniger als zehn Sekunden. Warum dauert das beim eRezept noch immer so lange?

Der Arzt muss es signieren und die Endkontrolle durchführen –das bindet mehr Zeit als bisher. Eine weitere potenzielle Fehlerquelle ist die Signatur in größeren Praxiseinheiten. Hier muss klar sein, dass derjenige Arzt, der seinen elektronischen Heilberufsausweis zur Signatur nutzt, auch der Benutzer im System ist, der die eRezepte ausstellt. Das kann nicht von unterschiedlichen Personen erfolgen –ein Problem, das erst in den Apotheken aufgefallen ist.

Zudem gab es Performance-Schwierigkeiten in der Übertragung der Rezepte auf den Rezeptserver der Gematik. Das konnten wir aber gemeinsam mit den teilnehmenden PVS-Herstellern inzwischen lösen. Natürlich hätten wir uns gewünscht, derartige Probleme wären schon vor dem Start des Rollouts gelöst worden.

Ärgert es Sie eigentlich, dass Sie da jetzt als eine Art Versuchskaninchen herhalten müssen für die Versäumnisse anderer Player?

Nein, überhaupt nicht – wir haben uns schließlich bewusst dieser Herausforderung gestellt. Weil wir davon überzeugt sind, dass das eRezept und auch andere digitale Anwendungen in der ambulanten Versorgung der Vertragsärzteschaft gebraucht werden. Und weil die Prozesse in den Praxen zum Wohl aller Niedergelassenen stärker berücksichtigt werden müssen. Deshalb haben wir uns gerne für die enge Begleitung und Mediation in diesem Transformationsprozess angeboten.

Sind Sie denn nach wie vor überzeugt, dass das elektronische Ausstellen eines Rezepts in den Praxen irgendwann tatsächlich schneller vonstattengeht als das herkömmliche Ausstellen eines Rezepts?

Ob die Prozesse schneller sein werden, kann ich nicht sagen. Aber sie werden mit Sicherheit wettbewerbsfähig sein. Die Geschwindigkeitsoptimierung der Prozesse war auch nicht das primäre Ziel der Anwendung: Es geht um eine bessere Datenqualität und vollständig digitale Prozesse.

Der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, hat vor einer Woche einen Neustart für das elektronische Rezept gefordert. Man müsse es noch einmal komplett neu aufsetzen. Sehen Sie das auch so?

Wenn wir einen Neustart wollen, dann meint Herr Dr. Gassen mit Sicherheit, dass wir eine komplett elektronische Lösung brauchen. Sie existiert bislang nicht und das ist das größte Problem in diesem Rollout: Wir müssen in den Praxen immer noch ein Papierdokument ausstellen, das der Patient dann in die Apotheke mitnimmt. Dieser Medienbruch – von einem digitalen Prozess in der Arztpraxis zu einem Papierdokument beim Einlösen in der Apotheke – muss automatisiert werden. Da gebe ich Herrn Dr. Gassen Recht. Deshalb ist für uns die Einlösung des eRezepts mittels elektronischer Gesundheitskarte auch ein Game Changer, diesen digitalen Prozess brauchen wir unbedingt.

Nun hat aber der Bundesdatenschutzbeauftragte einer Einlösung mittels eGK ohne PIN-Eingabe gerade eine Absage erteilt. Er fürchtet mögliche Sicherheitslücken. Nun wolle man mit der Gematik alternative technische Möglichkeiten prüfen. Wie ist der aktuelle Stand?

Aktuell laufen Gespräche zwischen Gematik, Bundesgesundheitsministerium und dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz, um noch einmal Verständnis für die eGK-Lösung zu entwickeln und Möglichkeiten aufzuzeigen, wie der Prozess datenschutzrechtlich sicher ablaufen kann.

Sind Sie als KV in diese Gespräche eingebunden?

Nein, sie laufen bilateral zwischen Gematik, BMG und dem Bundesdatenschützer.

Ihre Vertreterversammlung hatte ja beschlossen, dass die KVWL aus der Einführungsphase aussteigt, sollte die Einlösung des eRezepts über die elektronische Gesundheitskarte bis Ende November nicht möglich sein. Für wie realistisch halten Sie eine Lösung bis Ende November überhaupt noch?

Ich bin Optimist, kann es aber leider nicht beeinflussen und muss die Frage daher offenlassen. Fest steht: Es wird eine große Herausforderung, das in der Kürze der Zeit hinzubekommen. Bedenken sind daher sicherlich angebracht.

Das heißt das Ultimatum Ihrer Vertreterversammlung gilt noch?

Es gilt und war eine einstimmige Entscheidung der VV, die ich auch sehr gut nachvollziehen kann. Man sollte ein eRezept digital ausstellen und weiterverarbeiten können.

Das heißt, gibt es diese Lösung innerhalb der nächsten sechs Wochen nicht, ist die KVWL raus aus dem Rollout?

Das ist so, ja. Dann würden wir pausieren und keine weiteren Praxen mehr akquirieren. Die Ärzteschaft postuliert ganz klar den Wunsch nach einer digitalen Lösung, und es ist nicht zu vermitteln, ein Jahr oder länger das rosa Rezept durch einen weißen Ausdruck zu ersetzen. Das findet keine Akzeptanz – weder bei Ärzten noch bei Patienten.

Warum hat die Gematik nicht schon längst ein sicheres digitales Anmeldeverfahren entwickelt?

Die Gematik hat ihren Schwerpunkt auf die Entwicklung einer eRezept-App gelegt. Das war mit Blick auf die Zukunft sicherlich auch eine gute Idee. Das Problem aktuell ist aber, dass man für die App eine eGK braucht, die NFC-fähig ist – sie muss also in der Lage sein, eine Verbindung zum Smartphone herzustellen. Solche NFC-fähigen Karten haben aktuell lediglich rund die Hälfte aller GKV-Versicherten, hinzu kommt ein sehr komplizierter Anmeldeprozess, für den auch noch eine PIN bei der Krankenkasse angefordert werden muss. Ich rechne daher damit, dass die App frühestens in ein bis zwei Jahren eine gute Lösung sein kann. Auch vor diesem Hintergrund halten wir unseren Vorschlag – die Einlösung über die eGK – für eine belastbare und verlässliche Übergangslösung.

 Das eRezept soll sich laut Zielvorgabe vom Bundesgesundheitsministerium bis 2025 zum Standard in der Arzneimittelversorgung mausern. Für wie realistisch halten Sie das?

Ich halte es für eine realistische Vorgabe. Und das, was wir tun können, um dieses Ziel zu erreichen, werden wir tun.

 

 

Bildquelle: Shutterstock


 

 

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